Vom 1. Mai bis 31. Oktober wird Shanghai Schauplatz der Weltausstellung „Expo 2010“ sein. China erwartet dazu über 70 Millionen Besucher und versucht, sich im Vorfeld weltoffen und harmonisch zu präsentieren. Inwieweit dieses Bild den Tatsachen entspricht und wie sich die Situation der Christen in China darstellt, analysiert die Geschäftsführerin des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“, Karin Maria Fenbert, im Gespräch mit André Stiefenhofer.
Frau Fenbert, die Welt ist zu Gast in China – was müssen Besucher wissen, die zur „Expo 2010“ reisen?
FENBERT: Sie müssen sich bewusst sein, dass sie als ausländische Besucher einen nur oberflächlichen Eindruck vom Land bekommen werden. Shanghai ist die glitzernde Vorzeigemetropole Chinas. Im Gegensatz zum großen Rest des Landes finden sich dort zum Beispiel auf vielen Hinweisschildern nicht nur chinesische, sondern auch englische Schriftzeichen. Dieses kleine Detail soll verdeutlichen, dass man in Shanghai darauf eingestellt ist, dem Besucher jenes China zu zeigen, das man ihn sehen lassen will.
Und wie sieht dieses China aus?
FENBERT: Wirtschaftlich einflussreich, hoch technisiert und kulturell bedeutsam. Dieses Bild ist natürlich nicht falsch, aber es stellt nur einen Teil der Wahrheit dar. Die Kehrseite der Medaille ist die große Armut, unter der gerade die Landbevölkerung und das große Heer der etwa 130 Millionen Wanderarbeiter zu leiden haben. Von kirchlicher Seite ist unverändert zu beklagen, dass sich noch einige katholische Geistliche und Bischöfe in Haft befinden. Teilweise sind sie auch in Arbeitslagern eingesperrt oder einfach spurlos verschwunden. Zwar ist die katholische Kirche* eine der wenigen anerkannten Religionen in China, aber das heißt nicht, dass manche Katholiken nicht wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Priester in China müssen sehr vorsichtig und diplomatisch agieren, um sich und ihre Gläubigen nicht in Gefahr zu bringen.
*Anmerkung: Ein anderes Problem haben die nicht staatlich registrierten Gruppen. Diese sind den Behörden verdächtig und werden als politische Bedrohung angesehen. Gegen jede fragwürdige Organisation geht der Staat rigoros vor. So auch in der Provinz Hebei, wo sich 30 Christen aus einer Freikirche für eine gemeinsame Andacht trafen.
In den letzten Jahren scheint sich für die Katholiken aber doch einiges gebessert zu haben – die Kirchen sind voll und die Zahl der Gläubigen wächst. Wie passt das mit der von Ihnen geschilderten Situation zusammen?
FENBERT: Auch die chinesische Führung hat erkannt, dass die katholische Kirche eine wichtige soziale Funktion im Land erfüllt. Von staatlicher Seite gibt es kein soziales Netz. Daher dient es durchaus den Zielen der Staatsführung, wenn die Kirche die sozialen Ungleichheiten durch ihre Arbeit in China mildert. Denn wer sein Glück im Glauben findet, neigt seltener zu radikalem Verhalten. Dieses Phänomen trägt nach Ansicht der chinesischen Führung zur „Harmonie“ im Land bei. So lange sich die katholische Kirche darauf beschränkt, der staatlichen Harmonie dienlich zu sein, lässt man sie gewähren. Die Probleme beginnen dann, wenn die Kirche versucht, die Gesellschaft zu reformieren. Gottesdienste zu feiern ist der Kirche also erlaubt, aber wenn sie versucht, ihr christliches Menschenbild in den Staat einzubringen, stößt sie schnell an ihre Grenzen.
China ist also noch weit von einer offenen, pluralistischen Gesellschaft entfernt?
FENBERT: Von der Gesetzgebung und der Staatsführung her ist es noch ein weiter Weg dorthin. Dafür gibt es einfach noch zu viele Beschränkungen, wie erst kürzlich wieder der Streit um den Internet-Suchdienst Google gezeigt hat. In China darf Google, wie auch alle anderen westlichen Anbieter, nur eine stark zensierte Version seiner Suchmaschine anbieten. Informationen etwa über die Aufstände in Tibet oder über die Geschichte der Volksrepublik China aus kritischer Sicht dürfen nicht gezeigt werden. Der einzelne Staatsbürger hat in China also nicht denselben Zugang zu Informationen oder dieselben Rechte wie ein Bürger in westlichen Gesellschaften. Der Großteil der Bevölkerung darf seinen Wohnort nicht frei wählen, und den Menschen wird ihre Familienplanung von staatlicher Seite vorgeschrieben.
Andererseits macht China – gerade auch dank des Internets – in letzter Zeit große Fortschritte, was den Aufbau einer Zivilgesellschaft angeht. Trotz aller staatlichen Einschränkungen bilden sich Umwelt-, Kultur- und andere Bürgerorganisationen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten viel bewegen. Im Internet gibt es eine lebendige chinesische Bloggerszene, die sich über aktuelle Themen austauscht. Das ist zwar kein Ersatz für die fehlende Pressefreiheit, aber es ist zumindest ein Hoffnung machender Anfang.
Was erwarten Sie sich von der „Expo 2010“?
FENBERT: Von Großereignissen dieser Art kann man sich erhoffen, dass sie zur Öffnung des Landes beitragen und den Menschen somit ihr Leben erleichtern. Leider zeigt die Erfahrung, dass aber auch das Gegenteil der Fall sein kann, so wie zum Beispiel während der Olympischen Spielen im Jahr 2008. Damals musste die Bevölkerung unter dem Vorwand der Sicherheit viele Einschränkungen über sich ergehen lassen. Eine Öffnung kann es immer nur dann geben, wenn sich die chinesische Staatsführung davon Vorteile verspricht. Die „Expo 2010“ wird also zunächst ein rein von wirtschaftlichen Interessen geprägtes Ereignis sein. Inwieweit in diesem Rahmen auch kritische Themen angesprochen werden können, bleibt abzuwarten.
Quelle: Kirche in Not