Im Irak hat am vergangenen Wochenende eine neue Terrorwelle gegen Christen begonnen. Bei insgesamt neun Anschlägen auf Kirchen und Einzelpersonen wurden am Sonntag und Montag fünf Menschen getötet und mehr als dreißig verletzt. „Kirche in Not“ (KIN) informiert in einem Interview mit der „Tagespost“ (TP) über die Lage der Christen im Irak nach dem „schwarzen Sonntag“. Die Interviewpartner sind: André Stiefenhofer (KIN) und Markus Reder (TP)
TP: Herr Stiefenhofer, in den letzten Wochen und Monaten war oft zu hören, die Lage für die Christen im Irak habe sich entspannt. War das ein Trugschluss?
KIN: Offensichtlich. Aber es war ein hoffnungsvoller Trugschluss. Denn schließlich kamen diese Informationen über eine Entspannung der Lage meist von Kirchenvertretern selbst. Die Bischöfe des Irak bekräftigen damit ihren Wunsch nach Frieden. Sie signalisieren, dass sie zum Aufbau der Gesellschaft beitragen wollen. Auch Weihbischof Sleimon Wardouni hatte noch letzte Woche in einem Interview bestätigt, dass die Lage ruhiger geworden sei – und nun war er es, der jenen Gottesdienst in der Marienkathedrale von Bagdad leitete, in dessen Anschluss die tödliche Bombe explodierte.
TP: Wie haben die Christen im Irak auf die neue Anschlagserie reagiert? Beschleunigt sich der Exodus oder versuchen sie in ihrer Heimat zu bleiben?
KIN: Nach dem Anschlag sprach Weihbischof Wardouni von einer „Atmosphäre des Misstrauens und der Aussichtslosigkeit“ unter den Christen. Natürlich sind die Menschen erschüttert – gerade nach einer Zeit der relativen Ruhe und Hoffnung. Ob die Anschläge den Exodus der Christen aber noch beschleunigen, ist schwer zu sagen, denn wer im Irak als Christ das Geld zur Flucht hatte, der ist meist schon geflohen. Ich sprach hier in München mit einer Flüchtlingsfamilie aus Mossul. Drei Monate mussten sie sich in ihrem Haus verbarrikadieren und die Einkäufe durch muslimische Freunde erledigen lassen, da jeder Schritt auf die Straße ihren Tod hätte bedeuten können. Mehrfach entgingen sie nur knapp Anschlägen, monatlich mussten sie Fundamentalisten ein Schutzgeld zahlen.
Schließlich flohen sie – und das kostete sie über hunderttausend Dollar.
Wer sich diesen Preis leisten konnte, ist bereits geflohen oder hat es versucht. Wer noch im Land wohnt, hat nicht das Geld oder die Beziehungen für eine Flucht.
TP: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Gewaltakten gegen Christen im Irak und dem Mord an einer Muslimin im Dresdner Landgericht?
KIN: Das war die erste Vermutung der Polizei in Bagdad. Der Fall in Dresden hatte in der islamischen Welt großes Aufsehen erregt. Der Hauptverdächtige für die Bombenanschläge war, wie üblich in diesen Fällen, zunächst der Kopf von Al-Quaida im Irak. Das hat sich aber bisher ebenso wenig bestätigt wie das Motiv der Tat. Beobachter gehen inzwischen eher davon aus, dass die Anschläge eine „Warnung“ an die Christen im Vorfeld der Wahlen im kurdischen Nordirak gewesen seien. In der Tat häufen sich im Irak die Anschläge vor solchen Wahlen. Ziel ist es, die Christen einzuschüchtern und von den Wahllokalen fernzuhalten.
TP: Auch in Ägypten wurden Kirchen niedergebrannt? Zufall oder doch gezielte Racheakte der Radikalen?
KIN: Meiner Einschätzung nach hat der Anschlag auf die koptische Kirche im ägyptischen Beni Mazar nichts mit den Anschlägen im Irak zu tun. Im Irak handelte es sich um großflächige, von langer Hand geplante Bombenattentate. In Ägypten haben drei Brandstifter eine zwar neu renovierte, aber doch leere Kirche mit Benzinkanistern in Brand gesteckt. Das Maß der Brutalität beider Anschläge ist also nicht vergleichbar, und die Hintergründe sind nach meiner Kenntnis auch ganz andere.
TP: Irans Präsident Ahmadinedschad hat mit seinen heftigen Angriffen wegen des Mordes in Deutschland die Stimmung ja massiv angeheizt. Bedeuten diese Äußerungen eine konkrete Gefahr für Christen in islamischen Ländern?
KIN: Ahmadinedschad reitet da, wie schon angedeutet, eher auf einer bereits bestehenden Welle der Empörung. In der arabisch-islamischen Welt wurde die ermordete Ägypterin sofort zur „Schleier-Märtyrerin“ hochstilisiert. Es ist ein bekanntes Phänomen: Wenn im Westen etwas Negatives im Zusammenhang mit dem Islam vorfällt, seien das fremdenfeindliche Taten Einzelner oder auch Religionskritik, haben darunter die christlichen Minderheiten in islamisch geprägten Ländern zu leiden. Solche Berichte erhalten wir von unseren Projektpartnern aus vielen Ländern. Die Christen dort bitten uns daher auch stets um größtmögliche Vorsicht und Respekt im Umgang mit Muslimen im Westen. Der Gefahren für christliche Minderheiten in diesen Ländern ist sich auch der Zentralrats der Ex-Muslime in Deutschland bewusst. Nach der Bluttat in Dresden hat die Vorsitzende Mina Ahadi nämlich sofort davor gewarnt, das Geschehen politisch zu instrumentalisieren. Dieser Aufruf ging eindeutig an die islamische Welt und er zeigt, dass sich moderne Muslime der Gefahren des Fundamentalismus sehr wohl bewusst sind.
TP: Wie wird sich die Lage im Irak für die Christen verändern, wenn die Vereinigten Staaten ihre Truppen abziehen?
KIN: Die hoffnungsvollen Stimmen sagen natürlich, dass der Irak sich nun ungehindert und eigenständig zu einer Zivilgesellschaft entwickeln kann und dass der Abzug der Besatzungstruppen ein wichtiger Schritt dorthin ist. Man darf außerdem nicht vergessen, dass die US-Truppen in den letzten Jahren weder dafür vorgesehen noch in der Lage waren, die Christen oder andere Minderheiten im Irak zu schützen. Der Schutz der Amerikaner begrenzte sich auf das Regierungsviertel in Bagdad und ihre eigenen Stützpunkte. Darüber hinaus kümmerten sie sich aber um den Aufbau der irakischen Sicherheitskräfte. Dass diese nun alleine zurechtkommen können und sich endlich eine intakte Zivilgesellschaft bildet, bleibt zu hoffen. Für die ständig von Tod und Verfolgung bedrohten Christen im Irak gilt weiterhin, dass die Lage insgesamt einfach nur besser werden kann.